MYTHOS: „Da muss er durch!“

Schlagworte und Sprüche gibt es viele in der Hundeerziehungswelt, viele sollten mittlerweile jedoch ersatzlos aus dem Wortschatz gestrichen werden. Denn was früher der gängigen Meinung entsprach, hat oft im modernen Hundetraining nichts mehr zu suchen.
So geht es mir auch mit der Aussage „Da muss er jetzt durch!“. Häufig dann gebraucht, wenn der Hundehalter zwar wahrnimmt, dass es dem Hund in der aktuellen Situation nicht gut geht, aber keine Möglichkeit oder kein Interesse besteht dem Vierbeiner zu helfen.

Müssen Hunde wirklich „da durch“?

Verändern wir kurz die Perspektive: stellen wir uns ein Kind vor, dass Angst vor dunklen Räumen und plötzlich auftauchenden Gestalten hat – was verständlicherweise auf recht viele kleine Kinder zutrifft. Würden wir dieses Kind mit in die Geisterbahn in den Prater nehmen? Weil es da jetzt durch muss? Weil das Kind nun lernen soll, dass die Situation nicht so schlimm ist? Diese Vorstellung ist grotesk und kein verantwortungsbewusstes Elternteil wird so agieren.

Oder denken wir an eine Frau, die Angst vor großen Menschenansammlungen hat. Nehmen wir diese Frau mit auf ein Konzert ins Ernst-Happel-Stadion? Mit hinein in die stehende Menge? Mit großer Sicherheit nicht!

Warum wird es dann behauptet?

Unter Anderem würden wir das von unseren Mitmenschen deshalb nicht verlangen, weil sie mit einer Stimme gesegnet sind, die es ihnen hilft sich zu artikulieren. Andere Personen können uns gut mitteilen, dass sie sich mit einer Situation nicht wohl fühlen. Das wird dann auch respektiert, schließlich wollen wir niemanden in eine unangenehme Lage bringen oder gar grausam sein und eine Person in Angst versetzen.

Nun haben unsere geliebten Vierbeiner leider keine Stimme um sich klar zu artikulieren. Sie können „nur“ über ihre Körpersprache mit uns kommunizieren. Dabei zeigen sie aber durchaus auch sehr deutlich ihre Verweigerung der Situation: sie bleiben stehen, versuchen wegzulaufen, laufen rückwärts, versteifen sich, zeigen Stress- und Beschwichtigungssignale. Leider scheint dies oftmals nicht auszureichen – viele Hunde werden trotz ihrer deutlichen „Artikulation“ in unangenehme Situationen gezwungen.
Und warum? Warum werden Hunde nicht für Voll genommen? Warum haben sie kein Recht auf eine eigene Meinung? Warum dürfen sie sich Situationen nicht verweigern, die für sie unangenehm sind? Leider habe ich keine Antwort auf diese Fragen L Unseren Haushunden ergeht es zwar teilweise besser als anderen, trotzdem besteht noch deutlicher Optimierungsbedarf im Umgang mit unseren Vierbeinern.

Ja, es gibt natürlich Situationen, die man nicht verhindern kann: zum Beispiel wenn eine wichtige Behandlung beim Tierarzt ansteht. Wenn es um die Gesundheit des Hundes geht, dann „muss er da durch“. Obwohl auch hier entsprechendes Training sehr angeraten ist, dass der Hund keine Panik in diesen Situationen bekommt.
Auch während Spaziergänge kann es mal passieren, dass ich mit dem Hund durch eine schwierige Situation muss. Ein Hund mit Gewitterangst beispielsweise – befinde ich mich in der Mitte des Spaziergangs und es donnert plötzlich, dann kann ich den Hund deshalb nicht panisch weglaufen lassen. Ich sollte aber auf jeden Fall beim nächsten Mal deutlich vorausschauender spazieren gehen, so dass mich nicht immer ein Gewitter einholt. Und natürlich ein entsprechendes Training starten!

Aber sollte das die Norm sein? Nein, auf gar keinen Fall!